Insolvenzverfahren Sozialversicherungsbeiträge: Hat die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen Vorrang?

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Unternehmen in der Krise: Hat die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen Vorrang?

Das müssen Arbeitgeber in der Insolvenz beachten, um eine Strafbarkeit gem. § 266a Abs. 1 StGB zu vermeiden

Nach § 28e Abs. 1 SGB IV ist der Arbeitgeber zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge seiner Arbeitnehmer verpflichtet. Die Sozialversicherungsbeiträge beinhalten Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Wenn ein Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nachkommt, macht sich ein Arbeitgeber nach § 266a Abs. 1 StGB strafbar. Das Strafmaß beträgt dabei Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Ein Problem ergibt sich, wenn ein Unternehmen nicht über genügend Mittel verfügt, um sowohl laufende Verbindlichkeiten als auch die Pflicht zur Zahlung des Arbeitnehmeranteils der Sozialversicherungsbeiträge zu erfüllen. Diese Situation ist für den Arbeitgeber, der eine Strafbarkeit vermeiden möchte, ein Dilemma: Entscheidet sich der Arbeitgeber vorrangig für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge, kann er zwar die Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB abwenden, muss jedoch ggf. zivilrechtliche Schadensersatzansprüche fürchten.

Pflichtenkollision: Sozialversicherungsbeiträge oder Massesicherung

Einerseits besteht für den Arbeitgeber die Pflicht zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und andererseits steht diesem der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung entgegen. Dieser verbietet einem Arbeitgeber im Insolvenzverfahren grundsätzlich die selektive Begleichung einzelner Ansprüche. Dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung steht der Grundsatz der Massesicherungspflicht gegenüber, welcher zum Schutze der einzelnen Gläubiger vorsieht, dass die Sicherung der Insolvenzmasse Vorrang vor anderen Forderungen hat. Gesetzlich verankert war die Massesicherungspflicht nach alter Gesetzeslage für die Rechtsform der GmbH in § 64 Abs. 2 GmbHG. Danach war der Geschäftsführer einer GmbH der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Davon ausgenommen waren Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Fraglich war mithin, welche Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers vereinbar seien.

Wie löste die Rechtsprechung das Problem der Pflichtenkollision – Wie ist der aktuelle Stand?

Nach der bisherigen Rechtsprechung des II. Senats des BGH entsprach die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge bei Insolvenzreife der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, sodass keine Ersatzpflicht nach § 64 I Abs. 2 GmbHG a. F. ausgelöst würde (BGH, NJW 2007, 2118). Die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge hatte nach dieser Rechtsprechung jedenfalls bis zum Ablauf der drei- bzw. sechswöchigen Insolvenzantragsfrist Vorrang gegenüber der Massesicherung. Nach § 15a Abs. 1 InsO haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler einer juristischen Person, die zahlungsunfähig oder überschuldet ist, ohne schuldhaftes Zögern grundsätzlich einen Eröffnungsantrag zum Insolvenzverfahren zu stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Ein Geschäftsführer, der entsprechende Zahlungen vornahm, musste keine zivilrechtlichen Haftungsansprüche wegen eines Verstoßes gegen die Massesicherungspflicht befürchten.

  1. Einführung des § 15b InsO

Mit dem Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz wurde die Insolvenzordnung dahin gehend geändert, dass die Haftung für Geschäftsführer von Unternehmen vereinheitlicht wurde. Zuvor war die Massesicherungspflicht von Geschäftsleitern für die unterschiedlichen Rechtsformen in verschiedenen Spezialgesetzen geregelt. Der neu geregelte § 15b Abs. 8 InsO regelt nun lediglich die Haftung hinsichtlich steuerrechtlicher Zahlungspflichten für den Zeitraum zwischen Insolvenzantragsstellung und Verfahrenseröffnung. Ist der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt, macht sich der Geschäftsleiter gegenüber dem Finanzamt nicht persönlich haftbar, wenn er die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht mehr erfüllt. Folglich kann er sich ab dem Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr auf eine etwaige Haftungsprivilegierung berufen und muss vorrangig seiner Massesicherungspflicht nachkommen.

  1. Keine Regelung hinsichtlich der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen

Zur Problematik hinsichtlich der Pflichtenkollision im Kontext der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen fand sich jedoch keine ausdrückliche Regelung in dem aktuellen Gesetz. Fraglich war zunächst, ob eine Regelung in der Hektik des Gesetzgebungsverfahren schlichtweg vergessen wurde oder das Weglassen einen bewussten Gegenschluss des Gesetzgebers darstelle. Eine analoge Anwendung des § 15b InsO auch auf die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen erscheint im Ergebnis die vorzugswürdige Lösung. Danach würde bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung und Nichtzahlung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ebenfalls eine persönliche Haftung gegenüber der Krankenkasse aufgrund der nicht gezahlten Krankenversicherungsbeiträge ausscheiden.

Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge: Welche Handlunsgmöglichkeiten bestehen?

Aufgrund der unklaren Rechtslage ist die zukünftige Rechtsprechung noch abzuwarten. Derweil stellt sich die Frage, wie Arbeitgeber in der insolvenzrechtlichen Krise mit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verfahren sollten.

Zunächst ist es wichtig, dass der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt wird. Bei Insolvenzverschleppung können keine privilegierten Zahlungen im Sinne des § 15b InsO geltend gemacht werden. Die Folge ist eine Haftung gegenüber dem Insolvenzverwalter.

Im Status der Insolvenzreife sollten die Zahlungen hinsichtlich der Krankenversicherung priorisiert werden, sodass aus dem Verwendungszweck ersichtlich wird, dass sich die Zahlungen an die Krankenkasse auf den Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherungsbeiträge bezieht.

Im Zweifel sollte der Rat eines fachkundigen Anwalts hinzugezogen werden, um eine Strafbarkeit nach § 266a StGB zu vermeiden.

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Fragen und Antworten zum Thema „Arbeitgeberhaftung und Insolvenzverfahren“:

  • Ist das Nichtabführen des Arbeitnehmeranteils der Sozialversicherungsbeiträge strafbar?

    Ja. Die Strafbarkeit ist in § 266a Abs. 1 StGB normiert. Danach macht sich ein Arbeitgeber, der dieser Pflicht nicht nachkommt, strafbar. Das Strafmaß beträgt dabei Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

  • Woraus ergibt sich die Pflicht eines Arbeitgebers zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen?

    Der Arbeitgeber ist nach § 28e Abs. 1 SGB IV zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge seiner Arbeitnehmer verpflichtet.

  • Wann muss bei Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzantrag gestellt werden?

    Nach § 15a Abs. 1 InsO haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler einer juristischen Person, die zahlungsunfähig oder überschuldet ist, ohne schuldhaftes Zögern grundsätzlich einen Eröffnungsantrag zum Insolvenzverfahren zu stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen.


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Quellen zum Thema „Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge“

  1. Neuordnung der Geschäftsführerhaftung im Insolvenzfall – Derra, Meyer & Partner Rechtsanwälte PartGmbB
  2. Geschäftsführer haftet bei verspäteter Insolvenzantragsstellung (insolvenzberatung.pro)
  3. GmbH-Geschäftsführer: Pflichten und Haftung in der Insolvenz / 1.3.2 Sozialversicherungsbeiträge | Haufe Finance Office Premium | Finance | Haufe
  4. Haftung für nicht gezahlte Beiträge zur Sozialversicherung › BAUER | DÄLKEN | DR. DÄLKEN (bauerundkollegen.com)
  5. Vorenthaltung & Veruntreuung Arbeitsentgelt – Dr. U. Lehmann (anwalt-strafrecht-steuerstreit-berlin.de)
  6. Veruntreuung von Arbeitsentgelten in der Krise – drohende Insolvenz (anwalt.de)
  7. PStR-10-2005.indd (klier-ott.de)
  8. Vorrang der Abführung von Sozialversicherungsbeiträge gem� (brennecke-rechtsanwaelte.de)
  9. Aktuelle Gesetzgebungsverfahren | Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts


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