Kündigung Renteneintritt: Betriebsbedingte Kündigung kurz vor Rente mit 63 |  BAG erleichtert Sozialauswahl

Kündigung Renteneintritt - betriebsbedingte Kündigung kurz vor Rente mit 63: BAG erleichtert Sozialauswahl
Foto von Sweet Life auf Unsplash

Kündigung kurz vor der Rente: BAG erleichtert Sozialauswahl älterer Arbeitnehmer

Das BAG setzt neue Akzente bei Kündigungen kurz vor dem Renteneintritt

Die geburtenstarken Jahrgänge der „Babyboomer“ steuern derzeit massenhaft auf den wohlverdienten Ruhestand zu. Allein zwischen 2025 und 2027 werden in Deutschland jährlich etwa 300.000 bis 400.000 Menschen mehr das Rentenalter erreichen als in den Jahren zuvor.

Was zunächst nach gemütlichem Auslaufen ins Rentenalter klingt, könnte für manche Arbeitnehmer allerdings ungemütlich werden: Betriebsbedingte Kündigungen kurz vor der Rente könnten künftig leichter ausgesprochen werden. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 8. Dezember 2022 (Az.: 6 AZR 31/22), das der Kündigung vor Renteneintritt einen juristischen Turbo verpasst – zur Freude der Arbeitgeber und zum Unmut vieler Arbeitnehmer.

Der konkrete Fall und die vorinstanzlichen Entscheidungen – Wenn jahrzehntelange Betriebszugehörigkeit nicht ausreicht

Die betroffene Arbeitnehmerin, geboren am 2. Januar 1957, hätte nach stolzen 48 Jahren Betriebszugehörigkeit ab Dezember 2020 abschlagsfrei in Rente gehen können. Doch eine Insolvenz ihres Arbeitgebers machte ihr einen Strich durch die Rechnung: Der Insolvenzverwalter kündigte ihr zweimal betriebsbedingt – einmal im März und einmal im Juni 2020.

Das Arbeitsgericht Dortmund gab zunächst der Klage der Arbeitnehmerin gegen beide Kündigungen statt, insbesondere weil die lange Betriebszugehörigkeit, das hohe Lebensalter und bestehende Unterhaltspflichten als wichtige soziale Kriterien zu ihren Gunsten sprachen. Auch das Landesarbeitsgericht Hamm bestätigte diese Einschätzung im Wesentlichen und hielt beide Kündigungen für unwirksam. Es betonte dabei, dass die bloße Rentennähe nicht ausreiche, um andere Sozialkriterien völlig in den Hintergrund treten zu lassen.

Die Entscheidung des BAG – Rentennähe verändert die Spielregeln

Vor dem BAG drehte sich der Wind deutlich: Die Richter bestätigten zwar, dass die erste Kündigung vom März 2020 sozial ungerechtfertigt war. Überraschend erklärten sie jedoch die zweite Kündigung vom Juni 2020 für rechtmäßig. Das BAG argumentierte, dass Arbeitgeber nach § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ausdrücklich die Rentennähe bei der Sozialauswahl berücksichtigen dürfen. Konkret ging es dabei um Arbeitnehmer, die innerhalb von maximal zwei Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Diese Arbeitnehmer seien laut BAG sozial weniger schutzbedürftig, da ihre finanzielle Absicherung zeitnah gesichert sei.

Dabei betonte das Gericht aber ausdrücklich, dass die Rentennähe nicht isoliert betrachtet werden darf. Arbeitgeber müssen nach wie vor alle relevanten Sozialkriterien wie Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung umfassend abwägen. Zudem stellte das Gericht klar, dass das Lebensalter ein ambivalentes Kriterium ist: Einerseits steigt mit zunehmendem Alter die Schutzbedürftigkeit aufgrund schlechterer Vermittlungschancen, andererseits sinkt diese, wenn eine abschlagsfreie Altersrente in greifbare Nähe rückt.

Wichtig war dem BAG zudem die Feststellung, dass diese Handhabung weder gegen nationales und europäisches Recht (insbesondere das Diskriminierungsverbot aus § 10 AGG und Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG) noch gegen das Grundgesetz (insbesondere Art. 3 GG) verstößt. Die Richter hoben hervor, dass die Differenzierung nach Rentennähe legitim sei, um soziale Härten gerecht zu verteilen und Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Auswirkungen auf Arbeitnehmer – Vorsicht, Falle „Rente mit 63“!

Für Arbeitnehmer, die bereits Pläne für ihren vorgezogenen Ruhestand schmieden, könnte dieses Urteil zum unerwarteten Stolperstein werden. Vor allem Beschäftigte, die die beliebte „Rente mit 63“ oder eine andere abschlagsfreie Rentenform bereits in Sichtweite haben, sollten wachsam sein. Arbeitgeber könnten in Zukunft eher geneigt sein, bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten zunächst jene Mitarbeiter ins Visier zu nehmen, die kurz vor dem abschlagsfreien Renteneintritt stehen.

Jedoch ist das Urteil keineswegs für alle Arbeitnehmer gleichermaßen relevant: Klar ist, dass es ausschließlich diejenigen betrifft, die innerhalb von zwei Jahren nach einer Kündigung eine abschlagsfreie Altersrente beziehen können. Arbeitnehmer, deren Altersrente mit Abschlägen verbunden wäre, oder Arbeitnehmer, die eine Altersrente aufgrund einer Schwerbehinderung beziehen könnten, sind ausdrücklich nicht betroffen.

Dennoch kein Grund zur Panik: Die Sozialauswahl muss stets umfassend sein und darf nicht einseitig zulasten älterer Arbeitnehmer ausfallen. Kündigungen bleiben weiterhin nur dann rechtmäßig, wenn sie nachvollziehbar und ausgewogen begründet werden. Ältere Arbeitnehmer tun gut daran, im Ernstfall juristischen Rat einzuholen – am besten noch bevor die Kündigung im Briefkasten landet.

Unterm Strich bleibt festzuhalten: Das BAG hat zwar die Tür für betriebsbedingte Kündigungen kurz vor der Rente etwas weiter geöffnet, aber komplett aus dem Rahmen gefallen ist es damit nicht. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten nun gleichermaßen aufmerksam sein – damit das Ende des Arbeitslebens nicht ungewollt turbulent wird.


Rechtsanwalt Hermann Kaufmann steht für eine umfassende Beratung zum Thema betriebsbedingte Kündigung kurz vor Rentezur Verfügung: Nehmen Sie gerne Kontakt auf!

Sie haben eine Kündigung kurz vor Ihrem Renteneintritt erhalten oder befürchten, betroffen zu sein?

Das aktuelle Urteil des BAG könnte für viele Arbeitnehmer, die kurz vor der Rente stehen, weitreichende Folgen haben. Ob und inwiefern Ihre Kündigung tatsächlich sozial gerechtfertigt ist, prüfen wir für Sie im Einzelfall detailliert.

Setzen Sie sich jetzt mit unserer Kanzlei in Verbindung – wir bieten Ihnen professionelle Rechtsberatung und vertreten konsequent Ihre Interessen, um Ihre berufliche und finanzielle Zukunft zu sichern.

📞 Tel.: 04202 / 638370

📧 E-Mail: info@rechtsanwaltkaufmann.de

Verlassen Sie sich nicht nur auf Ihr Bauchgefühl – setzen Sie auf erfahrene Experten an Ihrer Seite!

Die enthaltenen Informationen in diesem Artikel dienen allgemeinen Informationszwecken und beziehen sich nicht auf die spezielle Situation einer Person. Sie stellen keine rechtliche Beratung dar. Im konkreten Einzelfall kann der vorliegende Inhalt keine individuelle Beratung durch fachkundige Personen ersetzen.

Eine individuelle Beratung mit einem Rechtsanwalt wird empfohlen, um Ihre spezifische Situation zu bewerten und eine maßgeschneiderte Vorgehensweise zu entwickeln.


Fragen und Antworten zum Thema Kündigung Renteneintritt:

  • Kann mein Arbeitgeber mir eine betriebsbedingte Kündigung kurz vor der Rente aussprechen, obwohl ich über 40 Jahre im Betrieb beschäftigt bin?

    Ja, das ist nach dem aktuellen Urteil des BAG grundsätzlich möglich. Die Sozialauswahl, die Arbeitgeber bei einer betriebsbedingten Kündigung durchführen müssen, erlaubt ausdrücklich, die Rentennähe zu berücksichtigen. Wenn Sie innerhalb von zwei Jahren eine abschlagsfreie Rente beziehen könnten, darf der Arbeitgeber dies bei der Abwägung gegen Sie verwenden. Allerdings darf er andere Kriterien wie lange Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten oder Schwerbehinderung nicht vernachlässigen.

  • Welche Arbeitnehmer sind von dem Urteil besonders betroffen? Gilt es auch für eine Kündigung vor Rente mit 63?

    Besonders betroffen sind Arbeitnehmer, die eine abschlagsfreie Altersrente bereits innerhalb der nächsten zwei Jahre nach der Kündigung beziehen könnten – dazu zählt oft auch die populäre „Rente mit 63“, sofern diese abschlagsfrei möglich ist. Arbeitnehmer, die eine Altersrente nur mit Abschlägen beziehen könnten oder die aufgrund einer Schwerbehinderung Anspruch auf eine spezielle Altersrente haben, sind hingegen ausdrücklich nicht betroffen.

  • Was sollte ich tun, wenn ich eine Kündigung kurz vor meinem Renteneintritt erhalten habe?

    Sie sollten umgehend rechtlichen Rat einholen und prüfen lassen, ob Ihre Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Gerade bei der Berücksichtigung von Rentennähe bestehen komplexe rechtliche Anforderungen. Eine juristische Prüfung Ihrer individuellen Situation ist hier unerlässlich. Kontaktieren Sie dazu am besten frühzeitig einen auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwalt.


Mehr zum Thema Kündigung Renteneintritt:


Quellen – Kündigung Renteneintritt:


Related Posts